Hochschulen in Deutschland ersticken unter Bürokratie und bürokratische Willkür und Unfähigkeit. Ein Kollege, der von seiner Fakultät beauftragt wurde, Ansprechpartner der Universitätsverwaltung bei „Bologna-Prozess“ – so nennt man die Durchführung der Bologna-Reform – zu sein, berichtet wie folgt:
„Die ersten Sitzungen zur Bologna Reform liefen 2006/2007. Da ging es um grundlegende Fragen wie 3-ECTS Raster oder 5-ECTS Raster. Am Ende stellte sich aber heraus, dass die Beteiligten aus den Fakultäten kaum Einflussmöglichkeiten hatten. Uns wurden die Bedingungen diktiert, und die Bologna-Stelle, damals Herr Haarbusch, hatten da sehr strenge Vorstellungen. Da wir aber auch noch keine Erfahrung und kein richtiges Gefühl für die Sache hatten, mussten wir mitspielen.„
Seit nun fast einem Jahr ist die Informatik der LMU ist der selbe Kollege mit der Akkreditierung beschäftigt. Offiziell dient eine Akkreditierung von einem Studiengang der Sicherung der Qualität und der „berufsqualifizierenden“ Natur des Studiengangs.
Die Realität ist sehr weit davon. Eine Akkreditierung entpuppt sich in als einen rein bürokratischen Vorgang. Lehrveranstaltungen müssen dabei beschrieben werden, wobei die Form Vorrang vor dem Inhalt hat. Die schiere Masse an Unterlagen, die von meinem Institut erzeugt wurden, vernichten jede Hoffnung, dass ein Hochschullehrer, ein Studierender oder sonst jemand sie liest, versteht und daraus sich eine Meinung über den Inhalt von den Studiengängen bildet. Es sind schon deutlich über tausend Seiten. Außer der für ihre Erstellung beauftragte Kollege, liest sie kein Hochschullehrer unseres Instituts mehr. Dafür fehlt die Zeit. Hätte jemand genug Zeit, um sich damit auseinander zu setzen, so wäre die Erstellung einer Alternativfassung, die aus den geforderten Details Nützliches extrahiert und zusammenfasst, eine gewaltige Aufgabe. Kritische Auskünfte etwa über die technische Ausstattung von Hörsälen, was im der Informatik-Lehre zur Qualität – oder Nicht-Qualität – der Lehre wesentlich beiträgt, sind selbstverständlich in diesen tausend Seiten nicht zu finden. Die Akkreditierung wird als Verwaltungsangelegenheit verstanden und so durchgeführt. Alles, was für die Universitätsverwaltung als Kritik gesehen werden könnte – und in der Hinsicht hat unsere Universitätsverwaltung einen scharfen Blick und legt sehr breit aus – taucht in den Akkreditierungsunterlagen nicht auf.
Ich habe mich oft gefragt, wieso Hochschullehrer, die mit Lehre und Forschung besseres zu tun haben, die Rolle von Gutachtern bei Akkreditierungen übernehmen. Meine Vermutung ist, dass die einen noch Illusionen haben und die anderen, die ihre Illusionen schon verloren haben, durch eine gute Bezahlung angelockt werden.
Nun berichtet das Gutachten „Qualitätssicherung an Hochschulen: von der Akkreditierung zur Auditierung„, welches vom vbw, der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., der Landesverteung der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V.) und des BDI (Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V.), im Auftrag gegeben wurde, über die erstickende Akkreditierungsbürokratie:
„[…] nach den zurückliegenden Jahren der Erfahrung mit dem neuen System der Akkreditierung von Studiengängen, das die vormalige Praxis der zwischen Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Kultusministerkonferenz (KMK) ausgehandelten Rahmenprüfungsordnungen abgelöst hat, [sind] bei der überwiegenden Zahl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den Dekanaten und bei den Hochschulleitungen erhebliche Zweifel an der Eignung des neuen Instruments als Garant für eine Qualitätssicherung entstanden. Auch Studierendenvertretungen berichten nicht von einer spürbaren Qualitätsverbesserung der Lehre, sondern beklagen Überkomplexität und Rigorismus bei der Gestaltung von Studium und Prüfungen.“ (Seite 9)
Das ist eine erstaunliche klare Mitteilung. Dieses Gutachten erkennt auch eine Ursache der Bürokratisierung, die die Bologna-Reform und die Akrreditierung prägt:
„Der vorhochschulische Entscheidungsprozess zeigt, abgesehen von seinem hohen Determinierungs- und Bürokratiegrad, eine Eigenart, die bei unkundigen politischen Akteuren nicht selten ist: Vertreter aus Politik und Administration hatten im Fall des Bologna-Prozesses sowie der Einführung des Akkreditierungssystems die Vorstellung, dass es tatsächlich möglich sein könnte, aus obersten, sehr allgemeinen Normen (den verschiedenen Bologna- bzw. Bologna-Nachfolge-Deklarationen) zwingend weitere Konkretisierungsschritte, am ende bis auf die Ebene der Genehmigung eines einzelnen Studiengangs, abzuleiten.“ (Seite 44)
Wenn auch ein bisschen verklausuliert, ist auch dies eine klare Mitteilung: Die Bologna-Reform und die Akkreditierung sind von den Vorstellungen von Personen geprägt worden, die wenig Ahnung hatten.
Das Gutachten enthält auch Empfehlungen, die auf den Seiten 13 und 14 zusammengefasst werden. Die Hauptempfehlung, die sich auch im Titel des Gutachtens niedergeschlagen hat, ist, die Akkreditierung durch eine Auditierung zu ersetzen, die ziemlich anders als die Akkreditierung wäre. Der eigentlicher Vorschlag des Gutachtens ist aber – diplomatisch formuliert – die Beseitigung der Akkrediterung. Wegen der Bundestagswahl im September 2013 und einer bayerischen und einer Bundesregierung, die die Nähe zu den Arbeitgeberverbänden pflegen, dürfte diese Empfehlung Folgen haben.
Eines muss allen klar sein: Die gewaltige Arbeitszeit, die Hochschullehrer zur Erledigung von bürokratischen Aufgaben aufbringen müssen, ist für Lehre und Forschung verloren. Alle, die an Hochschule in Lehre und Forschung tätig sind und die Hochschulverwalter, die über den Verwaltungsstellerrand schauen – es gibt sie! – wissen, dass die Bologna- und Akkreditierungsbürokratie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen verringert.
FB
Post Scriptum: Sollte jemand im obigen Zitat eine Kritik an Herrn Dr. Haarbusch (damals an der Stabsstelle Strategie und Entwicklung der LMU München tätig) irrtümlich sehen, so sei hier klargestellt, das dieses Zitat selbstverständlich ein Lob ist: Er hat ja seinen Auftrag gründlich durchgeführt.